Was realistische Selbstverteidigung wirklich bedeutet

Ich kann es nicht mehr hören: der ewige Streit, welches System das realistischste und effektivste sein soll. Die einen schwören auf Krav Maga, während die anderen von Wing Tsun überzeugt sind. Oder doch Systema? Im Zuge dieser Diskussion werden den Schülern Techniken gezeigt, spektakuläre (und teils brutale) Videos gepostet, die beweisen sollen, dass die eigene Anschauung die richtige ist. Ich bin dagegen der Meinung, dass das alles an der Realität völlig vorbei geht und sehr viele Schulen die Menschen falsch ausbilden, verunsichern bzw. aggressiv anderen gegenüber machen und die Situation, gewollt oder aus eigenem Unwissen, oft falsch darstellen. 

Das Wissen der meisten Menschen über Kampfsport bzw. Kampfkunst beschränkt sich darauf, was sie in Filmen wie Karate- Kid gesehen haben. In manchen Fällen hat man einen Freund oder eine Freundin, die mal Judo gemacht hat, aber das war es meistens auch schon. Bruce Lee, Steine zerschlagen und Wettkämpfe, wo einer gegen den anderen kämpft, sind die häufigsten Antworten. Ach ja, den angeblichen Kampfschrei kann auch jeder… Das hat natürlich mit dem echten Kampfkunsttraining nicht viel zu tun. Sich wirklich mit einer Kampfkunst auseinander zu setzen hat viel mit harter Arbeit an sich selber zu tun. Es geht weniger darum, andere zu besiegen. Schon gar keine Steine, die sich nicht wehren können und nicht zurückschlagen.

 

Genauso verhält es sich mit dem Wissen über das Thema Selbstverteidigung. Der Durchschnittsmensch beschäftigt sich mit diesem Thema meistens erst dann, wenn er oder sie negative Erfahrungen gemacht hat. Oder wenn die Medien so viel Angst geschürt haben, dass man das Gefühl hat, etwas tun zu müssen. Bitte nicht falsch verstehen: ich bin natürlich dafür, dass JEDER über ein gewisses Wissen über dieses Thema haben sollte. Es handelt sich jedoch um eine solch wichtige Angelegenheit, dass ein Trainer alles dafür tun sollte, die Schüler richtig zu informieren.

Was trainiert wird

„Realistische Selbstverteidigung“ meint in so gut wie allen Fällen die Auseinandersetzung mit lebensbedrohlichen Angriffen oder zumindest mit Angriffen, die auf unsere Gesundheit abzielen. In den Kursen werden dann auch nahezu ausschließlich diese Situationen trainiert. Sicherlich ist das auch ein Aspekt von Selbstverteidigung und das Training dieser Extremsituationen ist wichtig und richtig. Aber spiegelt das wirklich unsere Realität wider? Auch wenn uns die Medien gerne ein anderes Bild zeichnen, so leben wir dennoch in einem recht sicheren Land. Man kann es kaum glauben, aber die Kriminalitätsrate sinkt Jahr für Jahr. In der guten alten Zeit sind weitaus mehr Verbrechen begangen worden als heutzutage. Natürlich ist die Brutalität mancher Verbrechen erschreckend und der Respekt voreinander nicht immer gegeben. Dennoch müssen die wenigsten Menschen regelmäßig um ihre Gesundheit oder gar um ihr Leben fürchten.

Es gibt eine Menge Abstufungen von Gewalt, mit denen man lernen muss umzugehen. Das kann psychische Gewalt wie etwa eine Beleidigung sein, einfache Angriffe wie Schubsen oder eine ein Streit am Gartenzaun, der in ein Handgemenge eskaliert. Selbstverständlich kann Gewalt auch ein Angriff mit einer Waffe bedeuten, die potenziell tödlich ist. Ihr könnt aber gerne mal die örtliche Polizei fragen, zu was sie öfter gerufen wird: ein harmloser Nachbarschaftsstreit oder eine Messerstecherei mit Toten…

 

Genau aus diesen Gründen ist es so wichtig, ganzheitlich zu trainieren. Anderenfalls wäre es so, als wenn man sein Auto nur im höchsten Drehzahlbereich fährt. Das geht zwar eine Zeit lang gut, aber eben nicht lange und gesund für den Motor ist das auch nicht.

Überlegenheitsgefühl

Dazu kommt noch, dass einige dieser Menschen eine Art Überlegenheitsgefühl anderen gegenüber entwickeln, die auf andere überheblich und provozierend wirken kann. In dem (vermeintlichen) Wissen, dem anderen gegenüber überlegen zu sein, hält man es nicht mehr für nötig, deeskalierend zu wirken und verschärft den Streit so noch. In vielen Fällen beruht diese Überlegenheit in körperlichen Auseinandersetzungen auch tatsächlich auf wirklichen Fähigkeiten, denn gut ausgebildet werden sie schon. Allerdings eben oft nur für Extremfälle. Da werden Angriffe auf „weiche“ Ziele wie Kehlkopf oder die Augen empfohlen, die natürlich auch sehr effektiv sind. Aber wenn das die einzige Option ist, wird es gefährlich. Nicht nur für den anderen, sondern auch für einen selber, denn da gibt es ja noch den Notwehrparagraphen, der besagt, dass man sich nur mit angemessenen Mitteln verteidigen darf.

 

Das Gefühl der Überlegenheit einem Gegner gegenüber kann aber auch aus einem anderen Grund gefährlich sein: man unterschätzt den anderen und überschätzt sich und seine Fähigkeiten. Wir kennen alle Beispiele von Ausnahmesportlern, die sensationell gegen einen vermeintlich völlig unterlegenen Gegner verloren haben, weil sie sich für unbesiegbar gehalten haben. Deshalb ist es immer wichtig, dem anderen mit Respekt und Achtung zu begegnen. Denn nur so hat man die Chance, im richtigen Moment die richtige Reaktion zu zeigen.

Realität der Kinder

Kommen wir zu einem anderen Thema: Selbstverteidigung für Kinder. Viele Trainer und Kurse machen da keinen großen Unterschied zum Erwachsenentraining. Vielleicht werden die ganz gefährlichen Techniken nicht gezeigt, aber das war es auch schon. Dabei sieht die Realität der Kinder in Sachen Selbstverteidigung ganz anders aus, als bei Erwachsenen. Der Alltag von Kindern ist viel körperlicher als der ihrer Eltern. Körperliche Auseinandersetzungen sind hier an der Tagesordnung. In den meisten Fällen geht hier jedoch nicht um schlimme Gewaltausbrüche, sondern einfache Dinge wie Schubsen, „Schwitzkasten“ oder Festhalten. Wir Erwachsenen klatschen unseren Arbeitskollegen nicht viel voller Wucht „liebevoll“ auf den Hinterkopf, weil wir uns freuen, ihn zu sehen. Kinder schon. Auch da muss man lernen, sich zu behaupten. Das geht aber nicht mit „realistischer“ Selbstverteidigung, denn die Reaktion wäre nicht angemessen.

Natürlich ist es richtig, dass der Alltag von Kindern und Jugendlichen rauer geworden ist und auch die Gewalt teilweise zunimmt. Dennoch sind diese Angriffe selten lebensbedrohlich. Was aber, wenn die Schüler nur gelernt haben, sich im absoluten Notfall zu wehren? Sie haben gar keine Option wie sie richtig reagieren können. Die „harten“ Techniken dürfen sie nicht anwenden und körperlich sind sie den Angreifern oft unterlegen. Es gibt ja Gründe, warum jemand Selbstverteidigung lernen will bzw. soll. Ganz selten sind es die Kinder, die sowieso schon die Stärksten sind, sondern eher diejenigen, die nicht Konflikten eher aus dem Weg gehen.

 

Es gibt leider aber auch das andere Ende der Kette von Selbstverteidigungsanbietern: da wird den Kindern tatsächlich beigebracht, dass es reicht „Stopp!“ Lass mich in Ruhe!“ zu schreien. Natürlich hat das Schreien in der Selbstverteidigung absolut seine Berechtigung und gerade in Situationen mit Erwachsenen ist es das Wichtigste, auf sich aufmerksam zu machen. Im Schulalltag jedoch schreien Kinder ständig und sie sind die ganze Zeit über einer großen Lautstärke ausgesetzt. Da hilft schreien, um den Gegner abzuwehren, wenig. Oft ist es dann eher noch so, dass sich die anderen darüber lustig machen und erst recht weitermachen. Einsatz der Stimme ist wichtig, aber das muss natürlich passieren und nicht so aufgesetzt wie in dem Fall oben. Das ist übrigens auch ein Grund, warum es so wichtig ist, längerfristig Selbstverteidigung zu trainieren. Ein paar grundlegende Techniken und Verhaltensweisen zu trainieren geht recht schnell. Es dauert aber eine gewisse Zeit, bis die Schüler die innere Sicherheit haben, sie auch anzuwenden.

Das richtige Maß

Wie so ziemlich überall im Leben ist es auch in der Selbstverteidigung wichtig, das richtige Maß zu finden. Gewalt ist leider manchmal nötig, um sich oder andere zu schützen, aber eben längst nicht immer! Sie sollte nur als letztes Mittel dienen, wenn alle anderen Optionen versagen. Um sich entscheiden zu können, muss man jedoch diese Optionen erstmal kennen und trainiert haben. Im Fußball versucht Pep Guardiola seinen Spielern immer und immer wieder beizubringen, wie sie sich in bestimmten Momenten verhalten müssen. Die Spieler sollen ganz genau wissen, wo sie in welcher Situation hinpassen müssen oder ob sie einen Torschuss versuchen. Es ist in einem so komplexen Spiel wie Fußball natürlich fast unmöglich jede Situation vorherzusehen, aber die Spieler erhalten so eine Art Blaupause, die ihnen Sicherheit geben soll. Genauso muss man auch in der Selbstverteidigung vorgehen. Unser größter Gegner in Gefahrensituationen ist nicht der andere, der uns angreifen will, sondern unsere Angst. Und Angst kann man am besten bekämpfen, wenn man weiß: „Ich kann das und ich bin vorbereitet!“

Unsere Kurse zu den Themen Selbstverteidigung und Selbstbehauptung sind geeignet für Kinder ab 4 Jahren, Jugendliche und Erwachsene. Ihr findet uns an folgenden Standorten:

Bersenbrück, Bramsche, Hasbergen- Gaste, Hesepe, Lappenstuhl, Osnabrück- Widukindland, Venne, Wallenhorst und Ueffeln.

 

 

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