Hilfe! Mein Kind ist zu schüchtern!

Ein zentraler Punkt meiner täglichen Aufgaben ist die Arbeit mit schüchternen und zurückhaltenden Kindern. Selbstverständlich wünschen sich fast alle Eltern, dass ihre Kinder mutig und offen sind und auf alle möglichen Ereignisse selbstbewusst und kompetent reagieren können.

 

Tatsächlich scheint es so zu sein, dass manchen Menschen die Fähigkeit zu kommunizieren und sich zu behaupten quasi in die Wiege gelegt wurde, während andere sich eher zurückziehen und den „Mutigen“ das Feld überlassen. Wie kommen diese großen Unterschiede zustande? Machen die Eltern von schüchternen Kindern etwas falsch?

Das Temperament ist angeboren

Michael ist kontaktfreudig, hat viele Freunde und liebt es, wenn es laut ist und viel Trubel um ihn herum herrscht. Erst dann scheint er so richtig aufzublühen. Wenn er im Mittelpunkt steht fühlt er sich wohl. Dementsprechend wird er natürlich auch von anderen als kompetent und durchsetzungsfähig wahrgenommen. Seine Lehrer bescheinigen ihm eine rege Mitarbeit während des Unterrichts, auch wenn die Qualität seiner Antworten manchmal zu wünschen übrig lässt. Stillarbeit und konzentriertes Arbeiten sind nicht so sein Ding, weshalb er ab und zu negativ auffällt, wenn er inmitten einer Arbeit plötzlich redet oder aufsteht. Auf dem Pausenhof ist er der König, der entscheidet, welches Spiel gespielt wird und wer in welcher Mannschaft ist. Deshalb ist Michael sehr beliebt und hat viele Freunde.

 

Mareike dagegen fühlt sich wohl, wenn sie dem Unterricht in Ruhe folgen kann. Sie nimmt zwar alles wahr, was der Lehrer sagt und schreibt auch alles mit, beteiligt sich aber sehr selten am Unterricht, was ihr der Lehrer oft das Desinteresse auslegt. Wenn sie etwas sagt, hat das jedoch immer Hand und Fuß und ist so gut wie immer richtig. Natürlich hat sie auch Freunde, jedoch nur wenige, dafür aber immer eine beste, mit der sie sehr viel Zeit verbringt. Die Lautstärke in der Klasse stört sie sehr, denn dann kann sie sich nur schwer konzentrieren, weil irgendwas sie immer ablenkt. Wenn sie nach der Schule nach Hause kommt, ist sie erstmal am liebsten für sich alleine, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten.

Na, findest du dich oder dein Kind in einer der beiden Beschreibungen wieder? Die Beispiele von Michael und Mareike beschreiben im Kern die beiden Persönlichkeitsmerkmale Extraversion und Introversion. Jeder Mensch tendiert mehr oder weniger ausgeprägt in eine diese beiden Richtungen.

 

Ob man eher extravertiert oder introvertiert ist, ist genetisch bedingt und hat mit der Erziehung an sich eher wenig zu tun. Man sollte auch nicht den Fehler begehen, das eine über das andere zu stellen, denn bei Persönlichkeitstypen haben ihre Vor- und Nachteile.

Introversion und Extraversion im Alltag

Im alltäglichen Leben scheinen es Menschen, die eher extravertiert sind, leichter zu haben. Kinder beispielsweise, die von sich aus eher auf andere zugehen können, finden dementsprechend natürlich auch eher Anschluss und stehen in der Hierarchie der Gruppe weiter oben. Dadurch, dass sie sich leichter tun mit anderen zu kommunizieren, werden sie seltener Opfer von Mobbing oder anderen Angriffen, vor allem auch, weil sie viel schneller bereit sind, sich zu verteidigen.

Introvertierte Kinder dagegen scheuen Auseinandersetzungen eher und ziehen sich lieber zurück, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, was von anderen oft als Schwäche und Ängstlichkeit ausgelegt wird. In vielen Fällen ist es das auch, denn Introvertierte reagieren hochsensibel auf ihre Umwelt und bedenken viel mehr die Konsequenzen ihres Handelns. Während der Extrovertierte schon vorprescht, denkt der Introvertierte noch über die verschiedenen Optionen nach.

 

Selbstverständlich haben introvertierte Menschen demnach erstmal große Nachteile, wenn es um Selbstbehauptung und Selbstverteidigung geht, wo Sekundenbruchteile über Sieg oder Niederlage entscheiden können. Introvertierte und sensible Kinder brauchen deshalb umso mehr Übung in diesen Dingen.

Westliches Ideal vs. Östliches Ideal

In unserer westlichen Zivilisation regiert das Ideal des extravertierten „Machers“, der sich durchsetzt, vorne weg marschiert und andere führt. Kommunikativ muss man sein und sich gut verkaufen können, dann klappt es schon mit dem beruflichen Erfolg.

Introvertierte werden demnach oft als weniger kompetent und fähig wahrgenommen, weil ihnen die Fähigkeit zur Selbstdarstellung einfach fehlt. In großen Gruppen fühlen sie sich eher unwohl und Smalltalk fällt ihnen schwer. Da introvertierte Menschen jedoch wie schon erwähnt Reize oft viel intensiver wahrnehmen als extravertierte, sind sie meistens deutlich besser im Probleme erkennen und lösen. Doch was bringt es ihnen, wenn sie das nicht auch nach außen verkaufen können und der extravertierte Chef allen Ruhm für sich einheimst?

In den östlichen Ländern gilt allerdings ein ganz anderes Ideal: laute Menschen, die sich selbst darstellen und aufplustern sind hier sehr verpönt. Zurückhaltung und Fleiß werden hier eher als wünschenswerte Eigenschaften angesehen. Die Introvertierten haben in diesen Ländern also große Vorteile.

Was ist also besser? Nun, zuerst einmal muss man sagen, dass kaum ein Mensch komplett extravertiert bzw. introvertiert ist. Wir alle tragen Eigenschaften von der einen oder anderen Seite in uns. Nicht jeder Extravertierte ist beispielsweise ein guter Redner und nicht jeder Introvertierte sitzt am liebsten den ganzen Tag zu Hause und liest. Selbstverständlich hat man als extravertierter Mensch in unserer heutigen Zeit Vorteile, denn wer sich selbst gut darstellen und durchsetzen kann, wird automatisch auch im Berufsleben erfolgreich sein.

 

In vielen Berufen sind andererseits auch die Eigenschaften von Introvertierten sehr gefragt. Ein Physiotherapeut, der gut zuhören kann, wird dem Patienten sympathischer sein als einer, der nur von sich erzählt. Oft sind diese Menschen auch in der Vorbereitung oder während der Arbeit besonders gründlich, besitzen ein großes Mitgefühl mit anderen und sind fähig zu tiefgründigen Gesprächen. Alles großartige Eigenschaften, die, richtig eingesetzt, einen großen Nutzen für die Gesellschaft darstellen.

Wir müssen nur wieder die Bedeutung von Zurückhaltung und Ruhe lernen, denn nicht immer ist das Laute und Starke der richtige Weg. Viele wichtige Errungenschaften unserer Zivilisation sind von introvertierten Menschen gemacht worden.

Ein gutes Beispiel für introvertierte Persönlichkeiten sind Bill Gates und Steve Wozniak, die beiden Gründer von Microsoft. Beide gelten als introvertiert und tun sich mit öffentlichen Auftritten recht schwer, aber ich denke, niemand kann die Lebensleistung der beiden in Zweifel ziehen. Es ist also möglich, trotz oder gerade wegen des vermeintlichen „Handicaps“ Introversion ein erfolgreiches Leben zu führen.

 

Was man dafür tun muss und vor allem, wie man mit introvertierten Kindern umgehen sollte, bespreche ich in meinem nächsten Artikel, denn es von sehr großer Bedeutung, introvertierte Kinder zu stärken und in ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie sich auch in unserer extravertierten Welt wohlfühlen können.

Unsere Kurse zu den Themen Selbstverteidigung und Selbstbehauptung sind geeignet für Kinder ab 4 Jahren, Jugendliche und Erwachsene. Ihr findet uns an folgenden Standorten:

Bersenbrück, Bramsche, Hasbergen- Gaste, Hesepe, Lappenstuhl, Osnabrück- Widukindland, Venne, Wallenhorst und Ueffeln.

 

 

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